Karin Bayer | Projekte | Lebe Wohl – Friedhof der Zukunft

Projekt

Lebe Wohl –

Friedhof der Zukunft

Bauherr: Landesgewerbeamt Baden-Württemberg

Ort: Stuttgart

Jahr: 2002

Leistungphase: Ideenwettbewerb

Lebe Wohl – Friedhof der Zukunft
Der Umgang und die Interpretation von Tod und Trauer sind in der Geschichte und bei den verschiedenen ethnischen Gruppen sehr verschieden. So werden sich in einer Zeit, die von Individualisierung und Pluralität geprägt ist, unterschiedliche Friedhofskonzepte entwickeln. Ein Friedhof sollte eine starke Identität erhalten, um nicht beliebig zu werden.
Veränderungen der Gesellschaftsstrukturen wirken sich auf traditionelle Trauerbräuche aus.
Die einzelne Grabstätte wird immer weniger gestaltet und verschwindet auch ganz.
Pflege und Besuch des Grabes haben einen anderen Wert erhalten. Die Gesellschaft ist mobiler geworden, die Hinterbliebene sind nicht immer am Ort der Bestatteten wohnhaft. Es fehlt oft an Zeit, finanziellen Mitteln oder an dem Bedürfnis zur Pflege und Besuch des Grabes.
Dadurch entsteht eine Anonymisierung.

Monument
Das Vakuum, das durch die Anonymisierung des Todes und durch das Verschwinden des Bestattungskultes entstanden ist, soll durch eine Gedenkstätte, ein Monument gefüllt werden. Durch den Zusammenschluß einzelner Gräber bildet sich ein kollektives Grabmal.
Da Feuerbestattungen immer mehr überwiegen, führt dies auch zu anderen räumlichen Möglichkeiten – eine vertikale statt horizontale Ausdehnung ist möglich.
Bewegte, hohe Wandscheiben, in denen Urnen untergebracht sind, bilden einen nach oben offener Raum.
Es entsteht ein starker Ort entsteht ähnlich wie prähistorischen Grabstätten, Dolmen.
„Der Tote ist verschwunden, doch sein Grab ist geblieben. Das hält die Erinnerung an zumindest diesen einen Toten wach. Dadurch, daß er nicht mehr ist, existiert er noch in Gestalt der Frage, wer er war. Wir werden viel anonymer verschwinden, denn welcher Wahnsinnige wälzt einen Felsblock von vier mal vier Meter auf uns, nein, mitsamt seinem Grab verschwinden heißt erst richtig verschwinden.“
aus Versteinerte Fragen von Cees Nooteboom
Dieses Monument steht an einem Ort, den täglich Tausende frequentieren, an einem Wegekreuz, das durch die Flüchtigkeit des überraschenden Betrachtens mit dem Tod konfrontiert. Wie ein Kreuz am Straßenrand, das einem Verkehrsunfallopfer gedenkt, den Vorbeifahrenden damit konfrontiert, dass der Tod ganz unvermittelt eintreten kann.

Licht
Bei diesem Friedhof ist von einem hoffnungsspendenden Ort auszugehen, der den Tod dahin gehend interpretiert, daß mit dem Tod eine Entmaterialisierung eintritt, die abstrakt durch Licht übersetzt wird. Licht als Symbol für den entmaterialisierten Zustand der Seele.
Der Verstorbene ist physisch Tod, diese Vergänglichkeit spiegelt sich bei vielen Friedhöfen durch das Thema Natur.
Jedoch die Seele bleibt lebendig in unseren Gedanken und Herzen. Dieser Zustand und dieser Trost soll hier durch Licht übersetzt werden. Es soll eine heitere, bewegte, tröstende und hoffnungsvolle Stimmung erzeugt werden.
„Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …
Wohl an denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“
aus Stufen von Hermann Hesse

Lebe Wohl – Friedhof der Zukunft
Durch einen Hülle aus farbigem, transluzentem Glas entsteht ein Ort, der je nach Wetter und Sonnenstand verschiedenartige Lichtspiele erzeugt und so eine ganz eigene Atmosphäre erhält. – Ort der lebendigen Seelen –
Die Umgebung wird abgeschirmt, jedoch nicht völlig ausgeschlossen. Geräusche von außen sind abgedämpft wahrnehmbar. Genauso ist von außen das, was sich im Inneren abspielt, verhüllt erkennbar.
Nach außen für den flüchtigen, anonymen Betrachter sind die transparenten Lichtspiele stark wahrnehmbar. Bei Nachteinbruch schimmert die transluzente Hülle durch eine innere Beleuchtung, und bilden ein Signal nach außen – Grablichter auf Friedhöfen.
Nach Aussen exponiert ein Symbol, Denkmal, nach Innen introvertiert, ein Ort der Meditation.
An diesem dynamischen Ort, an dem die Mobilität der Gesellschaft besonders erlebbar wird,
entsteht ein Bestattungsort, der ohne intensive Grabpflege auskommt.
Es handelt sich um einen konfessionslosen, offenen Friedhof, der sowohl Raum für verschiedene Religionen, wie auch der Nichtzugehörigkeit bietet.
Mit dem sparsamen Umgang von Freiflächen, die zur Verfügung stehen, ist das Zurückgreifen auf Restflächen und ihre Nutzbarkeit zu überdenken.

Elemente

Scheiben
Definieren einen Ort, bilden eine Mitte
Scheiben dienen als Urnenwände
Scheiben aus Stein, Beton

Hülle
Schutz nach außen zu Straßen und Bahn (Glas, Erschließung, Glas)
Schaffung einer besonderen Atmosphäre
Farbiges, transluzentes Glas
Unterschiedliche Lichtspiele je nach Sonnenstand und Wetter nach innen und außen
Bei Nacht innen beleuchtet, von außen wahrnehmbar
Vertikale Erschließung der Scheiben (Urnen) über 1-2 geschossige Galerien

Räume

Mitte
Die Mitte ist frei, zentraler Weg durch den ganzen Friedhof, Ort zum Verweilen, Meditieren, Ausruhen
Treppt sich nach oben und endet mit der Kapelle

Dazwischen
Zwischen den einzelnen Scheiben entstehen räumliche Abschnitte,
Die sich für unterschiedliche Erdbestattung nutzen lassen:
Formale Unterschiede der Gräber oder auch nach religiösen Unterschieden,
Raum für besondere religiöse Bestattungsriten oder für individuelle Grabgestaltungen

Ende
Am höchsten Punkt und am Ende des zentralen Weges ist eine Kapelle für Bestattungsfeierlichkeiten
Umhüllt von farbigem transluzentem Glas – Raum des Lichtes